23.10.2024

Rückblick auf unser BioRegio Symposium

Impulse für Innovation und Nachhaltigkeit in der Gemeinschaftsverpflegung
www.paddysmitt.de

Ravensburg, 10. Oktober 2024. Mit einem vielfältigen Programm und inspirierenden Beiträgen lockte das BioRegio Symposium 2024 zahlreiche Praktiker*innen, Wissenschaft und Unternehmer*innen ins KulturGut Ittenbeuren bei Ravensburg. In Kooperation mit dem Demeter Landesverband BadenWürttemberg e.V. setzte das Projektteam von „BioRegio Außer-Haus“ innovative Akzente für die Zukunft der regionalen Bio-Lebensmittelversorgung in Großküchen und Kantinen der Bodenseeregion. Nach einem herzlichen Empfang und einer Kürbissuppe der Tress Brüder eröffnete Ministerialdirektorin Isabel Kling das Programm mit dem Aufruf: “Die Verbraucher müssen wissen, welche Folgen ihre Ernährung hat.“ Als Auftakt präsentierte Projektleiterin Bettina Dreiseitl-Wanschura die Erkenntnisse des 2-jährigen Projekts, das im Rahmen der Europäische Innovationspartnerschaft(1) läuft. Die Gründung eines Verarbeitungsbetriebs für Biogemüse, Cateringbetriebe, die auf Bio umstellen oder Neugründungen, der Aufbau von kommunalen Frischeküchen, die selbst bioregional kochen und ein Kooperationsnetzwerk, das mehr Verbindlichkeit und Wirtschaftlichkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette schafft – dies wären die großen Chancen für mehr BioRegio in den Kantinen und Mensen der Bodenseeregion.

Technologische Innovation, Kooperation und Gesundheitsmanagement im Fokus 

Ernährungsvisionär Hendrik Haase eröffnete das Event mit einer Keynote über die Zukunft der Kantinen und bot neue Perspektiven wie sich Nachhaltigkeit und technologische Innovation durch KI in der Gemeinschaftsverpflegung verbinden lassen. Sein Fazit: „Wenn wir in Zukunft mehr heimische Biolebensmittel in Großküchen und Kantinen haben wollen, müssen wir mehr digitale Chancen nutzen und die analogen Stärken ausspielen.“ Gemeint sind Haptik und Geschmack, welche uns über unsere Ernährung in die analoge Welt zurückbringen. Wichtig sei es, sich mit der Zukunft zu verbinden, den Wandel zu prägen, statt hinterherzulaufen. So kann Technologie als Werkzeug genutzt und Daten können zur wichtigsten Zutat werden. Die Bio- und Regional-Bewegung sollte hier nicht den Anschluss verlieren. Personalisierte Ernährungspläne, Ressourcenschonung durch Müllreduzierung und Treibhausgas-Bilanzierungen sowie volle Transparenz entlang der Wertschöpfungskette sind einige der Chancen, welche es zu ergreifen gilt. Vor allem wenn man junge Menschen ansprechen möchte, sollte man auf das Trendsetting durch Social Media nicht verzichten: „Virale Marketingkampagnen und Influencer können neue Produkte und nachhaltige Praktiken schnell populär machen“. Weitere Expert*innen wie Dr. David Sipple von der Universität Freiburg und Oecotrophologin Birgit Schweyer aus Berlin, beleuchteten die Bedeutung kooperativer, fairer Modelle in der regionalen Lebensmittelversorgung bzw. das Potenzial gesunder Ernährung als Bestandteil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. „Kooperation statt Konkurrenz“ ist laut Sipple der Schlüssel zur Schaffung fairer und nachhaltiger Wertschöpfungsketten, die entweder horizontal oder vertikal organisiert sein können. Wichtig seien Kooperationen insofern, als gerade im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen auf lokaler und regionaler Ebene ein starker Betriebsrückgang zu verzeichnen ist, der unter anderem auf eine starke Marktkonzentration, den herrschenden Fachkräftemangel sowie fehlende Betriebsnachfolge zurückgeht. 

Hieraus leite sich der Bedarf nach einer regionalen und kommunalen Wirtschaftspolitik mit Fokus auf die Stärkung einer lokalen nachhaltigen Ernährungswirtschaft und Kooperationen innerhalb dieser ab. Für die Zukunft der kommunalen Kantinen wirft Sipple das innovative Konzept der sogenannten „Ernährungsmeisterei“ an die Wand. Birgit Schweyer zeigte auf, welche positiven Effekte eine gesunde Ernährung auf die Produktivität und das Wohlbefinden im Arbeitsalltag haben. Durch Betriebliches Gesundheitsmanagements (BGM) können Schulungen und Workshops zu gesunder Ernährung angeboten werden, um das Bewusstsein der Mitarbeitenden für gesunde Essgewohnheiten zu schärfen, wozu es interessante steuerliche Anreize und Zuschüsse von Krankenkassen und Rentenversicherungen gibt. Näher definiert ist dies im Leitfaden Prävention, wo in § 20 Abs. 2 SGB V Handlungsfelder und Kriterien beschreiben wie eine gesundheitsgerechte Ernährung im Arbeitsalltag aussieht. Individuelle Ernährungsberatung kann Mitarbeitende gezielt dabei unterstützen, gesunde Entscheidungen zu treffen. Zudem spielen gesunde Ernährungsangebote eine wichtige Rolle für das Employer Branding und eine positive Unternehmenskultur, da sie das Wohlbefinden und die Motivation der Mitarbeitenden nachhaltig fördern. Dr. Armin Geisinger beleuchtete die vielfältigen Vorzüge der ökologischen Landwirtschaft und stellte Strategien vor, um diese Mehrwerte effektiv an Kantinengäste zu kommunizieren. Durch gezielte Kommunikation sollen die häufig kritisierten Nachteile, wie der höhere Flächenbedarf, verständlich erklärt und kompensiert werden. Im Zusammenhang mit dem oft kritisierten zu hohen Preisen zeigte Geisinger praxisorientierte Lösungswege wie die Mischkalkulation von Menüs mit und ohne biologischen Zutaten.

Trends in Kantinen, Ernährungsbildung und Nachwuchsförderung

Im Anschluss vertieften die Praxisgespräche mit Monika Forster, Christian Tress und Konrad Geiger die Diskussion zu aktuellen Trends in Schulkantinen und Großküchen. Die Praktiker*innen teilten innovative Ideen, wie die Umstellung auf regionale Bio-Lebensmittel in der Kantinenpraxis gelingen kann und erläuterten Wege, um Herausforderungen wie Logistik und höhere Preise zu meistern. Einen sehr spannenden Auftakt bot Monika Forster von der Energieagentur Vorarlberg mit dem Projekt „Schullokal“. Das sind drei Frischeküchen, welche die Volks- und Mittelschulen in insgesamt neun Gemeinden des Vorderen Bregenzer Waldes mit frischem, nachhaltigem Essen beliefern. „Die Speiseplanentwicklung ist enorm wichtig für die Akzeptanz unter den Schüler*innen.“ Diese Schullokale sind mittlerweile so erfolgreich, dass die Kids auf andere Angebote wie Imbissbuden etc. verzichten und sich gerne mit ihren Freund*innen in den mit Holzarchitektur attraktiv gestalteten „Lokalen“ treffen. „So können wir auch eine positive Prägung der Essgewohnheiten für gesunde, regionale und saisonale Menüs bei den Schüler*innen bewirken“, zeigt sich Monika Forster zu recht sehr erfreut. Herausfordernd sei allerdings der Aufbau einer regionalen Logistik als Grundlage für ein reibungsloses Funktionieren. Die Tressbrüder erschließen sich den Markt der AHV aktuell mit ihrer Art „HelloFresh“ Konzept, indem sie vorgefertigte Rohstoffe an die AHV liefern, die dann von den Einrichtungen zubereitet werden. Damit übernimmt das Unternehmen der vier Tressbrüder auch eine Bündelungs-, Handels- und Logistikfunktion und kann auch preislich konkurrieren. „Denn der Direktbezug von Waren bei Landwirten ist für beide Parteien vorteilig und sorgt für faire Preise, insbesondere der Bezug in größeren Gebinden.“ Die Zukunft sieht Christian Tress in der Entwicklung von innovativen Gerichten, die lecker sind, ggf. geringere oder gar keine Fleischanteile beinhalten und deren Zutaten regional bezogen werden können. „Lass uns mal in die Verbindlichkeit gehen,“ forderte Konrad Geiger, um langfristige Partnerschaften zwischen Produzent*innen und Abnehmer*innen zu fördern. Der leidenschaftliche Sternekoch mit langähriger Erfahrung am Food-Sektor führt heute ein Beratungsunternehmen, das spezialisiert ist auf die Umstellungsberatung von Kantinen auf regionale und saisonale Frischeküchen. In seinem „Food & Research Lab“ arbeitet er mit neuester Lebensmittel-Anlagentechnik, erfahrenen Lebensmittel –und Ernährungswissenschaftlern sowie Koch- und Metzgerkollegen, um zukunftsträchtige Produkte schnell und effektiv auf den Markt zu bringen. Seine Kompetenz zur Teamarbeit beweist er auch, indem er Landwirt*innen und Küchenpersonal auf der Schwäbischen Alp zusammenbringt, damit sie gemeinsam über die Preise verhandeln – das sorgt für Fairness auf beiden Seiten. Ein weiteres Highlight bildete das Praxisgespräch mit Petra Melchers, Huber Hohler und Thomas Gilch über die Zukunft des Kochberufs. Einig ist man sich, dass es ein neues Image braucht wie „LebensmittelDesigner*in“, um den Beruf attraktiver zu machen und die Lehre zu modernisieren. „Essen und Köche müssen wieder cool rüber kommen,“ so Melchers, und fordert ein neues Narrativ für das Kochhandwerk, das Lust auf eine kreative und nachhaltige Küche weckt. Derzeit gäbe es keine zeitgemäßen Lehrinhalte in den Berufsschulen. Nach Hubert Hohler sollte Fleisch zur Beilage werden. Gesunde Ernährung, wertstoffschonende Speisen und Handwerk könnten wichtige Weiterbildungsangebote nach der Lehre werden. „Als ich angefangen habe, ging es darum die Bäuche voll zu bekommen, dann ging es darum die Menschen gesund zu ernähren, dann nachhaltig zu ernähren und jetzt dürfen wir auch noch die Welt retten, das ist doch schön!“ fasst Hubert Hohler die Entwicklung im Ernährungsbereich pointiert zusammen. In einem Projekt mit der DHBW Ravensburg verknüpft Hohler das Kochen mit Bildern über die konkret dafür benötigte Agrarfläche. Solche Narrative machen neugierig und vermitteln die Zusammenhänge bildlich. 

Zukunftsperspektiven und Wertschätzung für Lebensmittel 

Das abschließende Podiumsgespräch zum Thema „Innovation durch Regulation?“ bot eine lebhafte Diskussion zwischen Politik, Verwaltung und Praxis mit Isabel Kling, Dr. Christoph Reiber vom Demeter Landesverband und den beiden Klimamanagerinnen Veerle Buytaert aus Ravensburg und Pauline Hippert aus Konstanz sowie Petra Melchers. Die Moderator*innen Prof. Daniel Buhr, Politikwissenschaftler und Mitglied im EIP-Projekt, und Bettina Dreiseitl-Wanschura wollten wissen, wie die Integration von BioRegio in die Kantinen schneller gelingen kann. Denn es gäbe bereits einige Kantinen- allen voran das Schullokal in Vorarlberg –, die beweisen, dass 30% bioregionaler Lebensmitteleinsatz gelingen kann. Doch in den kommunalen Kantinen von Baden-Württemberg sind die Fortschritte eher zäh. Isabel Kling betonte, dass über die neue Verwaltungsvorschrift Kantine Workshops und finanzielle Unterstützung zumindest für Landeskantinen angeboten werden. Zum Thema neuer Lehr- und Prüfungspläne müssten Kultus- und Wirtschaftsministerium ins Gespräch kommen, sodass die starren Lehrpläne an die neuen zukunftsweisenden Aufgaben angepasst werden können und Koch-Handwerk bzw. -Kunst ihre Wertschätzung erhalten. Einigkeit bestand darin, dass Gäste nicht bevormundet werden, sondern durch attraktive und kreative Menüs zu verträglichen Preisen angelockt werden sollten. Allerdings stehen Kommunen bei neuen Ausschreibungen zur Schulversorgung vor der großen Herausforderung, geeignete Cateringbetriebe zu finden, die bioregionale Gerichte anbieten, wie es auch das aktuelle Chaos bei der Berliner Schulverpflegung zeigt. Fakt ist also: Die Außer-Haus-Ernährung benötigt das politisches Backing für die notwendigen Rahmenbedingungen. Gleichzeitig braucht es mutige und innovative Akteur*innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die bereit sind, eng zusammenzuarbeiten. Der abschließende Aufruf eine kommunale „Ernährungsmeisterei“ als Pilotprojekt in der Bodenseeregion ins Leben zu rufen, stieß auf große Zustimmung im Publikum und fand bereits einige zukünftige Mitstreiter*innen. 

Erfolgreiche Vernetzung und positive Resonanz 

Mit dem BioRegio Symposium 2024 wurde ein starkes Zeichen für eine nachhaltige, regionale BioVersorgung im Außer-Haus-Sektor gesetzt. Das Team bedankt sich bei allen Teilnehmenden und freut sich auf zukünftige Projekte zur Förderung der Bio-Bewegung in der Region. Die positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden: „Tolle Momente, inspirierender Austausch, elektrisierende Ideen!“ oder „Erfrischend und ermutigend“ bestätigen, dass das BioRegio Symposium wertvolle Impulse für die nachhaltige Verpflegung von morgen gesetzt hat.


Vielen Dank an alle Teilnehmer*innen und Referent*innen!

Symposium-Programm und links zu den Vortragenden:
https://www.bio-regio-ausser-h...

Pressekontakt:
Bettina Dreiseitl, EIP-Projektleitung, bettina@dreiseitl.de, +49 151 44006304

(1) In den EIP-Projekten geht es um praxistaugliche Innovationen in zukunftsrelevanten Bereichen der Agrarbranche: https://foerderung.landwirtsch...

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